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2 - Das Konzept 

2.2. Die Plausibilitätsstudie 1: Realisierbarkeit, Wirtschaftlichkeit, Klimaeffekte

Die Nutzung der S21-Tunnel für eine unterirdische Güterlogistik zur Ver- und Entsorgung der Stuttgarter Innenstadt ist intuitiv nachvollziehbar. Damit dieses Konzept von UMSTIEG21 von den S21-Projektbetreibern aber nicht einfach mit fadenscheinigen Gründen vom Tisch gewischt werden kann, hat das Aktionsbündnis gegen Stuttgart21 ein unabhängiges Gutachten bei Prof. Philipp Precht und Prof. Mathias Wilde von der Fakultät Maschinenbau und Automobiltechnik an der Hochschule Coburg beauftragt. Beide sind ausgewiesene Experten in den Themenfeldern Logistik, digitalisierte Wertschöpfungsketten und nachhaltige Mobilität. Ihr Auftrag lautete „Prüfung der Plausibilität einer auf die Stadt Stuttgart ausgelegten unterirdischen Güterlogistik (…) unter Nutzung der vorhandenen Infrastruktur des S21 Projektes“. Dabei sollten grundsätzliche Fragen der Verlagerungspotentiale, der Wirtschaftlichkeit und Emissionsminderung einer unterirdischen Güterlogistik auf der vorletzten Meile geklärt werden. 

Es wurden nicht gleich alle Tunnel von S21 untersucht, sondern zunächst nur der Tunnel nach Untertürkheim, der Fildertunnel und eine gleichzeitige Nutzung beider Tunnel. Letzteres ist besonders interessant, da bei ähnlichen Projekten bisher meist Punkt-zu-Punkt-Ansätze untersucht wurden. In jedem Fall bildet der City-Hub am Hauptbahnhof die zentrale Stelle für die Feinverteilung. Die Abschätzung des Transportvolumens nahmen die Professoren auf der Grundlage der Einwohnerzahl vor. Für die Innenstadtbereiche ergeben sich ca. 200.000 Bewohner. Diese bestimmen den Umfang für eine nötige bzw. mögliche Güterlogistik, ergänzt um Handel und Gewerbe.

Durch wissenschaftliche Untersuchungen, aber auch aus den Unterlagen der großen Logistikdienstleister, liegen umfangreiche Daten zum Versandvolumen sogenannter Packstücke für die gesamte Bundesrepublik vor. Daraus haben die Gutachter unter Berücksichtigung der besonders hohen Kauf- und Wirtschaftskraft in der Stuttgarter Innenstadt in ihrer Potentialanalyse 120 Mio. Packstücke ermittelt. Allerdings bekommt nicht jeder Bewohner der Innenstadt 600 Pakete. Es werden auch Lieferungen für Geschäfte und Gewerbe anteilig mit betrachtet. Mit einer durchschnittlichen Verladung von immerhin 80 Packstücken auf eine Europalette mit einer vorgegebenen Maximalhöhe von 2 m ergeben sich für die Stuttgarter Innenstadt 1,5 Mio. Paletten im Jahr, die in die Stadt zu transportieren wären und auf dem Rückweg wieder Lieferungen aller Art, aber auch Verpackung und Abfall mitführen können. Dieser Wert passt genau zu der Kapazität einer Doppelröhre des „Smart City Loop“-Ansatzes. Der Transport von Gütern, die nicht als Packstücke auf Europaletten gestapelt werden können (z.B. sperrige Möbel), lässt sich natürlich nicht auf das unterirdische Logistiksystem verlagern. 

Im nächsten Schritt haben die Gutachter die Wirtschaftlichkeit abgeschätzt, also die notwendigen Investitionen und erreichbaren Erlöse gegenübergestellt. Sie haben dabei die im Rohbau fertigen Tunnelröhren beachtet, aber natürlich ist für ein weitgehend automatisiertes Transportsystem mit der entsprechend notwendigen kurzzeitigen Zwischenlagerung eine aufwändige Fördertechnik erforderlich und auch der Betrieb des Logistiksystems verursacht Kosten. Unter Einbeziehung von Abschreibungen, operativen Kosten, einer Betreibermarge und zu erwartenden Fördermitteln wurden wiederum der Untertürkheimer Tunnel, der Fildertunnel und die Kombination bewertet. Für Untertürkheim ergaben sich bei einer angestrebten Ausschöpfung des oben ermittelten Transportvolumens von 70 %, also etwa 1 Mio. Paletten im Jahr ein mittlerer Preis von 6 € pro Palette für den Transport auf der vorletzten Meile. Das ist eine Größenordnung, die in der Logistikbranche als wettbewerbsfähig gilt.

Zusammenfassend kommen die Gutachter zum Schluss, dass das untersuchte Konzept plausibel und wirtschaftlich darstellbar ist. Sie haben auch die volkswirtschaftlichen Aspekte der Lösung bewertet, also die eingesparten Lkw-Kilometer und die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Je nach Szenario ermittelten sie ein Einsparpotential von circa 700.000 km bis 4,3 Mio. km und von 320 t bis 2.000 t CO2 pro Jahr 2.

Die Gutachter ziehen ein positives Fazit ihrer Plausibilitätsuntersuchungen und schlagen in der Zusammenfassung (S. 34) weitere Schritte vor: die Anfertigung einer vertiefenden Machbarkeitsstudie und andererseits den Ausbau des für Stuttgart hier vorgeschlagenen Systemgedankens, also die Einbeziehung der weiteren Tunnel und möglicher Zwischenstationen, etwa am Großmarkt in Wangen und in Möhringen. Ebenso könnten nicht nur Lieferungen für Endverbraucher und den Einzelhandel, sondern auch die Werksverkehre im Raum Stuttgart untersucht werden. Die entstehenden Verlagerungseffekte vom innerstädtischen Lkw-Verkehr auf die unterirdische Güterlogistik „können als signifikanter Beitrag zur Reduzierung von Emissionen gewertet werden“. Es ist davon auszugehen, „dass sich eine Entlastung der Straßeninfrastruktur einstellen“ wird und diese „durch die Einführung einer City Maut oder/und anderen verkehrspolitischen Steuerungsmaßnahmen verstärkt werden“ kann. 

 


 

1 Philipp Precht / Matthias Wilde: Plausibilitätsstudie S21 Güterlogistik Nutzung des Stuttgart 21-Systems für die unterirdische Güterlogistik im Sinne einer „Vorletzten Meile“ im Auftrag des „Umstiegsgruppe des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21“, Coburg, April 2021

2 Mit der Maßeinheit CO2 wird der Effekt verschiedener unterschiedlich stark belastender Treibhausgase auf das Klima ausgedrückt.